Chişinău. Der einfachste Weg von hier nach Rumänien zu fahren, wäre nachmittags mit dem Nachtzug nach Bukarest gewesen. Da mir Moldawien aber recht gut gefiel, änderte ich meine Route, um an diesem Tag den moldauischen Norden zu besichtigen. Ich lief zum selben chaotischen Busbahnhof, an dem ich gestern angekommen war. An jeder Ecke fuhr ein Minibus in eine andere Richtung ab. Als Backpacker wurde ich schon aus 50 m Entfernung von gierigen Busfahrern gewittert. Sie schickten mich zu den Bãlţi-guys, die in einer Seitenstraße um meine Kundschaft buhlten, von denen aber keiner auch nur ein Wort Englisch sprach, sondern lauthals auf moldawisch auf mich einredeten. In so einer Situation gilt es, die Ruhe zu bewahren und abzuwarten, bis vielleicht eine Rabattschlacht der Händler untereinander beginnt. Tatsächlich wurden die Handys gezückt und der beste Preis gezeigt. Wenn man Ausländer ist, weiß man ja nie so recht, ob einem nicht ein per se höherer Preis genannt wird. Schließlich übergab ich mich einem Opelfahrer, der mich gemeinsam mit drei Mitfahrern für 65 Lei, umgerechnet drei Euro, nach Nordmoldawien brachte. Nach einer zweistündigen, landschaftlich schönen Fahrt auf leeren Autobahnen kamen wir in Bãlţi an. Moldawien ist wirklich das Land hinter den Karpaten Rumäniens. Im Auto kam ich mit der zwanzigjährigen Ina ins Gespräch, die mir nachher noch ihre Stadt zeigte. Bãlţi ist nun nicht gerade eine eigene Reise Wert, so gibt es in der zweitgrößten Stadt des Landes außer einem zentralen Platz und einem Park praktisch nichts zu sehen. Also fuhr ich mal mit dem Trolleybus zum Bahnhof, wenn ich schon nicht mit dem Nachtzug weiterfahre, wo gerade ein Zug nach Moskau einfuhr.


In der größten Mittagshitze setzte ich bei 35 Grad meine Reise Richtung Rumänien fort. Ich hatte mir ausgemalt, mit einem Marschrutka einfach in die nächst gelegene rumänische Stadt Botoșani zu fahren. Ernüchternd musste ich feststellen, dass es von hier aber keine internationalen Verbindungen ins Nachbarland gab. Nur einige Fernbusse ins ebenfalls benachbarte Iaşi oder Bukarest, die erst morgen wieder fuhren. Ich fragte mich auf dem Busbahnhof durch und wurde an die Taxifahrer verwiesen. Fragen kostet ja nichts, aber auch dort wurde ich ablehnend fortgeschickt. Nun musste ich mir erst einmal einig werden, wie es weiter geht, schließlich wollte ich heute Abend noch nach Rumänien. Nachdem ich mich unweit in den Schatten gesetzt hatte, kam einer der Taxifahrer wieder auf mich zu und meinte, jemanden zu kennen, der mich fahren könne. Zehn Minuten später kam sein Freund, Schwager oder Cousin um die Ecke gefahren und machte mir ein besonders gutes Angebot: 150 Euro für die angeblich 250 Kilometer lange Fahrt dorthin. Ich musste mir das Lachen verkneifen, aber Botoșani war nun wirklich nicht so weit weg, vielleicht 130, maximal 150 Kilometer auf meiner Karte. Sollte man als Taxifahrer nicht wissen, was sich um seine Heimatstadt so befindet? Da mir auch 120 Euro noch zu viel waren, lief ich wieder zum Busbahnhof und studierte nun alle Zieltafeln der Bussteige, an denen die Minibusse abfuhren. Vielleicht gibt es ja einen, der mich so nah wie möglich zur rumänischen Grenze bringt. Zugegebenermaßen etwas riskant, stieg ich dann in einem 12-Sitzer, dessen Richtung am nächsten passte. Fast drei Stunden ging es in einem rasanten Tempo über moldawische Pisten, dass ich mir nicht wirklich sicher war, ob mein Rucksack nicht bald aus der Heckklappe fallen würde. Ich hatte keine Ahnung mehr, wo wir lang fuhren. Mit meinem Telefon konnte ich ungefähr verfolgen, wo wir uns gerade befanden. Als der Bus dann irgendwann leerer wurde, fiel ich auf, denn hier auf dem Dorf kannte man sich. An jeder Milchkanne wurde angehalten, um irgendeine Fracht abzuliefern oder Leute am Straßenrand persönlich mit Handschlag zu begrüßen, hier am Rande Europas. Ich machte dem Fahrer und seinem Beifahrerjungen verständlich, dass ich zum Grenzübergang nach Rumänien wolle, worauf mich der Fahrer nach einem kurzen Zwischenstopp bei seinem Bekannten hinfuhr. Das hätte ich nicht gedacht, da der Bus eigentlich schon weit vorher hätte enden sollen.

Den letzten Kilometer bis zum Grenzübergang lief ich zu Fuß. Dort endlich angekommen, ließen mich die Grenzbeamte aber nicht passieren, da dies nur per PKW möglich sei. Na wunderbar – aber man wollte eine Lösung finden und das nächste Auto anhalten. Es dauerte nicht lange, bis ein Van mit einem rumänischen Kennzeichen anhielt. Dieser erwies sich als Glückfall, denn John war mit seiner Schwiegermutter auf dem Weg nach Botoșani und konnte sogar etwas Englisch. Da um 19:30 Uhr ein Personalwechsel des moldawischen Grenzübergangs stattfand, regte sich erst einmal eine halbe Stunde lang nichts. An der beschaulichen EU-Außengrenze im Norden beider Länder war bis auf ein paar Autos die Stunde nichts los, war doch deren Einzugsbereich recht dünn besiedelt.
Und dann gab es doch noch eine späte Rache Transnistriens. Da ich bei der Einreise nach Moldawien aus Transnistrien keinen Einreisestempel erhalten hatte, wollten mich die moldawischen Grenzbeamten nicht ausreisen lassen. Die ukrainischen Stempel waren meiner Ausreise auch nicht gerade förderlich. Mehr oder weniger scherzhaft wurde ich als potentieller Terrorist beäugt. Na klar. Ich erklärte ihnen in aller Ruhe meine vergangene Route und wie es zu meiner „lückenhaften“ Dokumentation gekommen war. Da kein Beamter aber nur irgendein Wort Englisch sprach, wirkte Johns Freund Viktor, ein Moldauer, der Kommunikation wohlwollend bei. Er war ebenfalls an der Grenze zugestiegen und auf dem Weg nach Bonn, wo er für ein paar Monate arbeiten wollte. Nach einer längeren Diskussion mit allen Beteiligten, gab man mir schließlich den Ausreisestempel und meinen Pass wortlos zurück. Was für eine Kleinstaaterei am Rande Europas – wie gut, dass es doch die EU gibt! Dagegen war die nachfolgende Kontrolle der Rumänen sehr entspannt. Ich merkte es gleich an der Infrastruktur: ich war noch einmal in der EU, bevor es nach Asien gehen wird.

Unsere Fahrt währte nur bis zum nächsten Ort. Erst jetzt verstand ich, was John vorhin mit einer kleinen Pause gemeint hatte. Im nächsten Ort hinter der Grenze fuhren wir auf das Grundstück der Schwiegermutter. John holte zwei blaue Fässer aus dem Schuppen und begann, den in Moldawien getankten Dieselkraftstoff mit einer selbstgebauten Pumpe dorthin umzufüllen. Wie aus einem Film der Olsenbande, allerdings in Rumänien und mit rein wirtschaftlichen Absichten. Jenseits der Grenze war der Liter Diesel umgerechnet 50 Cent günstiger als hierzulande. Hier betreibt man also auch diesen merkwürdigen Tanktourismus. Daraufhin fuhr er wieder zur Grenze zurück, um erneut Kraftstoff zu tanken. Währenddessen standen Viktor und ich im Hof und aßen die heruntergefallenen Birnen aus Schwiegermutters Garten, was wollten wir hier auch anderes machen. Im Holzhaus lief eine Endlosschleife rumänischen Chorgesangs von Surorile de la Toflea.



Nach fast zwei Stunden kam John mit vollem Tank wieder, sodass wir endlich weiterfahren konnten. Kurz vor Mitternacht kamen wir in Botoșani an seinem Haus an. Dankenswerterweise bot er mir auch einen Schlafplatz für diese Nacht an, so spät hätte ich hier nichts mehr gefunden. Seine Frau Andrea hatte bereits zu Abend gekocht und tischte uns Beiden gut gewürzte Frikadellen mit Kartoffelschnitzel und Salat, dazu eine kühle Weinschorle auf. Das moderne Haus war sehr wohlhabend eingerichtet und entbehrte nichts. Romanians like properties, you know, meinte Andrea, als sie mir wohl mein Erstaunen ansah. Sie zeigten mir noch stolz ihre Urlaubsbilder vom Donaudelta aus dem letzten Jahr. Müde und zufrieden konnte ich schließlich mein riesiges Doppelbett im Gästezimmer beziehen. Ich hätte es wahrlich schlechter treffen können. Und die Fahrt bis hierher kam mich am Ende nicht 120, sondern nur drei Euro, moldawischer Grenzerfahrungen inklusive.