Die zehnstündige Nachtzugfahrt nach Yerevan hätte gern noch etwas andauern können: kurz vor sieben Uhr waren wir schon in Armeniens Hauptstadt angekommen. Per Metro und pedes steuerten wir erst einmal unser Hostel an. Der öffentliche Nahverkehr ist hier nicht besonders gut aufgestellt. Die wenigen, äußerst selten verkehrenden Trolleybuslinien werden von einem unübersichtlichen Dieselbusnetz chinesischer Busse der Chinaaid sowie unzähliger Taxis ergänzt. Die meiste Zeit liefen wir zu Fuß, auch wenn eine innerstädtische Taxifahrt gerade einmal 1000 Dram, also weniger als zwei Euro kostet, oder eine Metrofahrt 20 Cent.

Yerevan ist eine der ältesten Städte der Welt. Das Stadtbild wurde allerdings in der armenischen SSR, während der sowjetischen Besetzung, wesentlich verändert. Großzügig, rasterförmig angelegte Straßen dominieren heute das Stadtbild. Zahlreiche Parks und Grünstreifen machen den Aufenthalt in dieser weitläufigen Stadt angenehmer. Im Gegensatz zu Georgien lassen armenische Autofahrer einen auch die Straße überqueren. Es gibt wieder ein Straßenleben mit freundlich schauenden Menschen, die einen längeren Blickkontakt halten.



Wir trafen uns mit dem Armenier Sargis, um mehr über das kleine Land hinter dem Kaukasus zu erfahren. Die schicksalhafte Geschichte des Landes merkt man den Armeniern noch heute an. Seit Jahrhunderten wurde das Land abwechselnd von Persern, Osmanen und schließlich den Sowjets besetzt. Insbesondere der Völkermord an den Armeniern auf dem Gebiet des ehemaligen osmanischen Reichs, der heutigen Türkei, dominiert nach wie vor die armenische Geschichtsschreibung. Nach einhundert Jahren spricht man noch immer wehmütig von einem ehemaligen Gebiet armenisch besiedelter Gebiete. Das frisch Gezapfte Kilikia trägt den Namen einer dieser ehemaligen Provinz in der heutigen Türkei. Der höchste Berg Armeniens ist selbstverständlich der Ararat, der sich eigentlich hinter der Grenze befindet. Man erspart sich am besten türkische, aserbaidschanische oder russische Geografie oder spricht über Länder, mit den denen Armenien nicht im Clinch ist, wie Georgien und der Iran. Wir wollten uns ein fundiertes Bild der Ereignisse von vor 100 Jahren machen und besuchten das eindrucksvolle Genozid-Mahnmal und das interessante Museum, dessen Eintritt kostenlos war.

Nachdem wir einen ersten Eindruck von Yerevan bekommen hatten, unternahmen wir einen Tagesausflug zum Sevansee und einigen alten Klöstern im Nordosten des Landes in einer geführten Tour. Um den Berg Ararat mal aus der Nähe zu begutachten, fuhren wir am dritten Tag mit der Elektritschka ins Nirgendwo zwischen Armenien, Türkei und Aserbaidschan. Eine Reise mit einem der selten noch im Einsatz befindlichen Elektrotriebwagen ER1 aus Rigaer Produktion (RVR) aus den späten Fünfzigern war weniger für mich, als vielmehr für Martin das Highlight des Tages!




Etappenweise ging es in den Süden Armeniens zur iranischen Grenze. Am vierten Tag begaben wir uns daher recht früh zum südlichen Busbahnhof. Dort hatten wir am Vortag erfahren, dass täglich zwischen sieben und halb elf Uhr ein, zwei Marschrutkas in die aserbaidschanische Provinz Bergkarabach fährt. Genaueres war nicht zu erfahren, also standen wir dort am nächsten Morgen gegen neun Uhr auf der Matte und fragten nach dem besagten einen Minibus nach Südarmenien. Tatsächlich stand ein gelber Sprinter, beschriftet mit Stepanakert, mit auf dem Dach beladenem Baumaterial und Taschen und wartete auf uns zwei letzten Mitfahrer. Als hätten wir ein Ticket gebucht, war der Bus bis auf den letzten Klappsitz im Gang belegt. Nach einer halben Stunde ging es auch schon los. Unser Fahrer, der zum Glück schon etwas älter war, fuhr allein schon wegen der abenteuerlichen Dachbeladung langsamer als wir es von einen Kollegen gewohnt waren. Die 200 km lange Fahrt mit der Marschrutka war ja fast schon schön, so fuhren wir gemütlich vier Stunden lang bei offenen Fenstern durch die Landschaft. Regelmäßig wurde eine Raucherpause eingelegt, bei der immer die Fracht auf dem Dach überprüft wurde. Nach drei Stunden machte sich diese aber selbstständig und flog davon, sodass wir umkehrten, um nach dem verloren gegangenen Material am Straßenrand zu suchen. Nachfolgende Autos kamen uns alsbald entgegen und brachten die Ladung stückweise wieder. Die Weiterfahrt nach Bergkarabach konnte nur durch ein Umpacken fortgesetzt werden. Man beschloss, die Ladung auf dem Dach nun unter die Sitze zu verstauen und unsere Rucksäcke stattdessen auf das Dach zu legen. Diese Idee fanden wir wiederum weniger gut. Da wir nicht mehr weit von unserem Ziel waren, stiegen wir an Ort und Stelle aus und legten die letzten Kilometer per Anhalter zurück. Per Auto fuhren wir die restlichen zehn Kilometer zur Seilbahn, mit der wir zum malerisch gelegenen Kloster Tatev fahren wollten. Es wurde bereits im 9. Jahrhundert errichtet und wird seit 2010 von einer fünf Kilometer langen Seilbahn an das Straßennetz angeschlossen. Die Seilbahn ist damit die längste mit einem durchgehenden Tragseil konstruierte Pendelbahn der Welt. Die beeindruckende Fahrt 300 m über dem Tal dauerte 15 Minuten und kostete immerhin zehn Euro.







Wir übernachteten in der nahe gelegenen Kleinstadt Goris in einem B&B-Hostel und genossen unseren letzten Abend im christlichen Abendland bei einem Schluck armenischem Rotwein. Es sollte der vorerst letzte Tropfen sein, bevor wir in den nächsten Wochen im Iran sind. Am nächsten Morgen bestritten wir die letzte Etappe bis zur Grenze. Da es keinen geregelten Busverkehr gibt und uns die Taxifahrt zu teuer war, stellten wir uns an die einzige Straße in Richtung Grenze und hofften, dass uns jemand mitnimmt. Nur wenige Autos hielten an und verlangten bis zum nächsten Ort Geld. In Armenien ist prinzipiell jedes Auto ein potentielles Taxi. Erst nach einer Dreiviertelstunde kamen wir vom Fleck als Amar seinen Truck für uns anhielt. Der Dreißigjährige mit turkmenischen und irakischen Wurzeln fuhr einen leeren Dieseltruck zurück in den Iran. Sein Freund Ahmed folgte ihm im zweiten LKW. Nach einer Stunde hielten wir kurz an einem einsamen Haus am Straßenrand an, wo wir erst einmal eine Tee tranken. Dahinter befand sich Bergkarabach. Mit dem restlichen im LKW-Tank befindlichen Diesel wurde noch ein Geschäft gemacht. Da der subventionierte Sprit im Iran fünfmal weniger kostet als hierzulande, wird er an die Einheimischen verkauft. Aus fünf Minuten wurde eine Dreiviertelstunde, bis wir die Fahrt in getrennten LKW fortsetzten. Martin fuhr weiterhin bei Amar mit, während ich bei seinem Kollegen Ahmed Platz fand. Nach vier Stunden waren wir am Grenzfluss zwischen Armenien, Aserbaidschan und Iran angekommen.






Der Grenzübergang zwischen Armenien und Iran war nicht sehr frequentiert und konnte klassisch mit einer Flussüberquerung zu Fuß zurückgelegt werden. Die iranische Seit des Brückengeländers hieß uns bereits farbenfroh in den Landesfarben willkommen. Kaum hatten wir Armenien verlassen, fiel uns die freundliche Begrüßung iranischer Grenzbeamter auf. Wir stellten die Uhr um eine halbe Stunde auf iranische Zeit vor und tauschten Euro in Rial um. Auf der anderen Seite des Flusses stellten wir uns wieder an den Straßenrand, da wir die 50 $ für ein Taxi bis zur nächst größeren Stadt nicht zahlen wollten. Wenig später nahmen uns drei nette Iraner unseren Alters mit und fuhren uns in die nächste Stadt Jolfa. Von dort nahmen wir für die letzten 200 km ein Sammeltaxi nach Tabris, das unser heutiges Tagesziel war.

Wieder einmal hatten wir den schnellsten Fahrer der Autobahn erwischt, nur diesmal war das Verkehrsaufkommen um ein Vielfaches höher als im Kaukasus. Wir erreichten unser Gästehaus in Tabris um 23 Uhr und fielen todmüde ins Bett. Wir sind auf den Iran gespannt, den wir nun in den nächsten Wochen erkunden werden.