Nachdem ich in meinem letzten Post über die vergangenen, ereignisreichen anderthalb Monate ja geradezu geflogen bin, gehe ich noch einmal back in times, um weniger Geschichte als vielmehr Geschichten der Menschen zu erzählen, die mir auf dem Weg begegnet sind. Nun, wir schreiben einen frühen Abend im August. Martin und ich hatten soeben die armenisch-iranische Grenze übertreten. Wie wir mit dem irakischen Tanktruck hergekommen waren, ging es auch weiter. Wir trampten in die nächst größere Stadt Tabriz. Unser erster iranische Eindruck hätte positiver nicht sein können. Im Vergleich zum verschwiegenen, wenngleich freundlichen kaukasischen Bergvolk wurden wir von Iranern allerorts überschwänglich willkommen geheißen. Ich hatte ja schon Einiges über dieses Land vernommen, aber eine derartige warmherzige Kultur hätte ich nicht erwartet. Es ist wie mit dem ukrainischen Nachtzug – wer es nicht erlebt hat, kann es sich eben kaum vorstellen. Und um eines gleich einmal klarzustellen: der Iran ist safe, hier führt keiner Krieg, ja noch nicht einmal verbal. Wir sind schließlich in einem islamischen Land, hier weiß man sich in der Öffentlichkeit zu benehmen, weiß um gute Manieren und Achtung des Mitmenschen. Ausnahmslos. Auch wer es mit der Religion nicht so genau nimmt, ehrt zumindest deren gesellschaftlichen Werte.

Etwas naiv fielen wir gleich am ersten Tag auf den erstbesten Teppichhändler in Tabriz rein. Das freundliche Angebot des älteren Händlers, uns über den riesigen Basar zu führen, konnten wir einfach nicht abschlagen. Nach einer Viertelstunde landeten wir, klar, in seinem Geschäft, das lediglich eines von hunderten war, dafür aber eines der prächtigsten und farbenreichsten. Wir haben uns tatsächlich hinreißen lassen, etwas Handgefertigtes zu kaufen. Aber beim nächsten Mal wollten wir hart bleiben. Jetzt kannten wir ja die Tricks, dachten wir. Das war jedoch erst der Anfang, denn derartigen Situationen begegneten wir fortan dutzende Male täglich. Besonders ausgeprägt ist der westliche Tourismus hier zum Glück noch nicht. Vielleicht ein Grund, weswegen wir ständig und überall mit Handschlag begrüßt wurden. Bald lernten wir, sich nicht von jedem Hello, my friend! oder nachgerufenen Where are you from? auf der Straße aufhalten zu lassen. Schnell ist man in ein Gespräch verwickelt. Man kann sich der iranischen Freundlichkeit einfach nicht entziehen, da nützen die besten Pläne nichts.


Auf der Straße lernten wir den Studenten Samir kennen, der uns gleich die halbe Stadt zeigen wollte. Doch nach einer fachkundigen Führung durch die Moschee musste er schnell weiter. Nur einen Straßenzug weiter trafen wir auf Murteza, der uns auf einen Tee einlud. Iranisches Stadtgeflüster ist ganz einfach, solange man neugierig in die Augen der Andern schaut. Am Ende des Tages ist man um ein Dutzend Bekanntschaften und weitaus mehr Handschlägen reicher – und müde, wenn man vielleicht Hundert Mal dasselbe über sich erzählt hat. Und mit ein wenige Glück wird man schon nach einem kurzen Wortwechsel nach Hause eingeladen, das man nicht unbedingt abschlagen sollte. Das ging selbst mir zu schnell. Ich war von der Offenheit der Menschen schlichtweg überwältigt. Im Islam ist der Gast ein hohes Gut, um dessen Wohl sich um jeden Preis gekümmert wird. Aber nicht jede Einladung ist gleich ein ernst gemeintes Angebot. Vorsicht, Taarof! Dieser bedeutet sich bekannt machen und das bedarf es auf der Straße tatsächlich. Im Iran gilt es, die Freundlichkeit richtig zu deuten wissen, um nicht Opfer dieses Fettnäpfchens zu werden. Eine Offerte sollte wenigstens einmal, häufig aber drei Mal abgelehnt werden, bevor man sie annehmen kann. Wird beharrlich auf deren Annahme bestanden, weiß man um ihre Ehrlichkeit. Als ich einmal in Esfahan am Brotverkauf anstand, kam ein Kunde, der gerade frisches Brote erworben hatte, auf mich zu und hielt mir, dem Ausländer, eines seiner Brote hin. Ich lehnte dezent ab, worauf er nichtssagend verschwand. Welch große Geste. Im Umkehrschluss bedeutet der Taarof aber auch, dass ein Händler oder Taxifahrer zunächst ablehnt, wenn man ihn nach dem Preis fragt. Wäre ich nach dem ersten Kopfschütteln freudestrahlend abgezogen, hätte ich mir aber den Zorn des Fahrers aufgeladen. Wie geradlining und ungalant sind da wir Deutschen.


Ich hätte die nächsten Tage noch mühelos mit weiteren Begegnungen auf der Straße bei angenehmen 35 Grad verbrinen können, aber wir hatten schon den Nachtzug in die Hauptstadt gebucht. Wir verließen diese lebhafte Millionenstadt, nichtsahnend, dass es in Tehran (sic) um ein Vielfaches turbulenter zugehen würde.

Teheran, die Hauptstadt Irans, ist ein Kapitel für sich. In der Stadt südlich des Kaspischen Meeres, am Fuße des Elbrus-Gebirges leben geschätzt 15 Millionen Menschen. Hier werden die sonst konservativen Ansichten lockerer gesehen und es geht anonymer zu. Ein spürbarer Unterschied: wir wurden nicht mehr auf der Straße angesprochen. Wenn der Iraner nicht zu den Martins will, gehen die Martins eben zu den Iranern. Auf der Suche nach dem Café to be, das wir trotz des hilfreichen lonely planets nicht fanden, landeten wir in einem beliebigen Teehaus in einer Nebenstraße im ersten Stock. Ein Glücksfall – wir kamen schnell mit Gleichaltrigen ins Gespräch, die sich als die Betreiber des urigen Cafés erwiesen. Hier waren wir an junge, gebildete Iraner geraten, welche die starren Traditionen ihres Landes nicht so genau nahmen. Nach Ladenschluss wurde das Licht an den Tischen zur Straße hin gelöscht. Wir verblieben gemeinsam mit den Betreibern im Backstage. Ein Anruf eines Freundes genügte und schon wurde uns mit voller Stolz Prozentiges angeboten, das im Iran generell unter hoher Strafe steht. (Auf Namen und Fotos verzichte ich an dieser Stelle, um unsere Gastgebern nicht in eventuelle Schwierigkeiten zu bringen.) Nicht nur das, auch die Mädels ließen ihre Hüllen fallen. Im schiitischen Iran besteht für Frauen ab dem geschlechtsreifen Alter die absolute Kopftuchpflicht. Haare und die Figur sind zu dezent verhüllen (keine Burka, die es nur bei den Sunniten gibt). Es bleibt mir unklar, warum Frauen keine Verantwortung für ihre Reize übernehmen dürfen. Der Iran bleibt mit all seinen freundlichen und schönen Menschen und eben dieser geschlechtlichen Ungleichbehandlung ein ambivalentes Land. Soweit waren wir schon: unser Anblick dieser wahrhaftig iranischen Schönheiten hatte sich schon das wenige, dunkle Haar, das unter dem Kopftuch herausragt, reduziert.



Zum Thema Verkehr. Der Straßenverkehr ist ein einziges, scheinbar geordnetes Chaos. Lichtsignalanlagen und Straßenverkehrsregeln braucht es nicht, denn es gilt die gegenseite Rücksichtnahme, die funktioniert. Das Queren der Straße erfolgt asiatisch: solange man nicht plötzlich anhält, gelangt man aller Wahrscheinlichkeit zur gegenüberliegenden Straßenseite, wie ich im folgenden Video einmal festgehalten habe:


Das Metronetz kommt trotz moderner Fahrzeuge nicht gut weg. Es gibt wenigstens drei im Netz dargestellte, bedeutende Verknüpfungspunkte, an denen kein Umstieg in eine andere Metrolinie möglich ist! Neben unzähligen Taxis, deren Tarif sich nach befahrenen Straßenzügen berechnet, gibt es die flinken Motortaxis. Sie sind zweifelsohne die schnellsten überirdischen Transportmitteln, wie wir am eigenen Leib erfuhren. Eines Nachmittags orderten wir zweier solcher Mopedfahrer, um uns raus aus dem Zentrum zu bringen. Die sieben Kilometer lange Fahrt war alles andere als langweilig. Mein Fahrer umfuhr jeden Stau, indem er uns irgendwie zwischen den Autos manövrierte oder als Geisterfahrer gegen den Verkehr auf den mehrstreifigen Hauptstraßen fuhr 🙂



Nach wenigen Tagen des Großstadtlebens ging es weiter in den Süden des Landes. Als wir in der kleineren Millionenstadt Esfahan angekommen waren, wünschten wir, die Hauptstadt bereits eher verlassen zu haben. Mittelgroße Städte sind reizvoller, da man nicht in ihrer Größe und dem Verkehr erstickt. Der Schauplatz der Stadt ist der wunderschöne Naqsh-e Jahān-Platz, der einst als Hälfte der Welt bezeichnet wurde. Während tagsüber nur vereinzelte Touristen umherirren, versammelt sich bei Einbruch der Dunkelheit die halbe Stadt auf der Wiese zum Picknick. Ganze Großfamilien kommen zusammen und bringen Selbstgekochtes und Teegeschirr mit. Neidisch bewunderten wir die ausgebreiteten Kostbarkeiten bei einem frisch zubereiteten Roseneis aus der Ferne. Auf dem Streifzug nach Hause wurden wir von einer iranischen Familie angesprochen. Und schon saßen wir auch auf einer Decke mit zwei hübschen iranischen Schwestern Sadaf und Sanaz, ihrer Mutter und dem Onkel. Einer dieser offenen Familien, die von Kopftuchgebot und Tradition eher weniger halten und viel Wert in die Ausbildung ihrer Töchter legen. Am nächsten Abend kamen wir erneut zusammen und spielten Pantomime, um wohl den fremden Jungs offiziell näher zu kommen. Kühle, nächtliche zwanzig Grad haben für eine Erkältung ausgereicht, welche es in den nächsten Tagen in der doppelt so warmen Wüstenstadt Yazd auszukurieren galt.



Nach langer Überzeugung konnten wir uns von den überaus anhänglichen Schwestern losreißen, um weiter in die nächste Stadt Yazd zu ziehen. Die Zugfahrt dorthin fiel spontan aus, sodass wir die 350 km mit dem Reisebus zurücklegen mussten.




Das aus einer Oase gegründete Stadt befindet sich in der Wüste inmitten des Landes. Das Zentrum besteht noch komplett aus alten Lehmhäusern. Für die heißen Sommer baute man windgekühlte, unterirdische Eishäuser unterhalb der Stadt. Noch heute kühlen Windtürme über den Dächern die Wohnhäuser durch einen leichten Windzug. Die Wasserversorgung erfolgte vor wenigen Jahrzehnten noch über sogenannte Quanate – unterirdische Kanäle, welche die Häuser in einem Gefälle mit Wasser versorgten. Neben Muslimen leben hier noch wenige Anhänger des zoroastrischen Glaubens. Die im Mittleren Osten verbreitete, alte polytheistische Religion hat in dieser Region Feuertempel und Schweigetürme der Toten hervorgebracht.





Das ruhige Wüstenleben ließen wir uns, auch erkältungsbedingt, mehrere Tage gefallen. Während der Mittagshitze von über 40 Grad hält die ganze Stadt eine vierstündige Siesta, in der alle Geschäfte ruhen. Bestens auszuhalten in einem Innenhof der benachbarten Moschee oder, in unserem Fall, im Innenhof des Hostels auf dem Teppich bei kühlen Melonen und einem Ventilator. Hier traf ich den Belgier Jeroen, der ebenfalls auf Asienreise war und mir auf meiner weiteren Reise noch mehrmals über den Weg laufen sollte.






Unsere letzte gemeinsame Etappe führte uns nach Shiraz, in den Süden des Landes. Auf dem Weg dahin ließen wir uns in Persepolis aus dem Bus werfen, um die bedeutendste Hauptstadt des antiken Perserreiches zu bestaunen. Heute können nur noch Reste der 2500 Jahre alten Perserstadt aus der vor-islamischen Zeit besichtigt werden. Alexander der Große sol die Perserstadt 300 v. Chr. in Brand gesetzt haben aus Rache an der Zerstörung von Akropolis.


Shiraz ist bekannt für den Wein, den es seit der Revolution von 1979 offiziell nicht mehr gibt, und für die Grabstätte des Bruders von Imam Reza, dem achten Imam, der im östlichen Mashhad verstorben ist. Anders als die Sunniten glauben Schiiten nach der Zwölfer-Schia an 12 Imame, deren achter als einziger im Iran begraben liegt. Imam Reza wird wie kein anderer verehrt, folglich auch das Begräbnis seines Bruders. Die Pilgerstätte ist einer der nationalen heiligen Orte im Iran. Erst seit Kurzem ist der Besuch auch Nicht-Moslems erlaubt.


Durch Zufall oder eher Absicht trafen wir Sadaf und Sanaz aus Esfahan wieder, die hier ihre Cousinen trafen. Und wieder hatten wir einen unterhaltsamen Abend, diesmal mit fünf jungen Iranerinnen und natürlich ihren Müttern. Den letzten gemeinsamen Abend mit Martin verbrachte ich in der wilden Maus auf dem Rummel. Ein denkbar würdiger Abschluss unserer fünfwöchigen Reise von Istanbul über den Kaukasus bis in den Iran. Nach dieser sehr schönen Zeit des gemeinsamen Reisen war ich nun wider auf mich allein gestellt.

Doch das nächste Abenteuer erwartete mich, wo sonst, im Nachtzug von Shiraz ins östliche Mashhad auf dem Weg zur bedeutendsten nationalen Pilgerstätte des Irans.
Lieber Martin,
dein Bericht über den Iran macht richtig Lust. Mich würde die ganze traditionelle Architektur in den Bann ziehen. Ich finde Lehmhäuser faszinierend, aber ebenso verlassene Städte und Dörfer oder griechische Ruinen. Persepolis sieht ja gigantisch aus, obwohl nicht mehr viel steht. Bei den Windtürmen dachte ich: Es gibt sie wirklich. Ich habe von Windtürmen im Zusammenhang mit dem saudi-arabischen Projekt „Masdar City“ – einer neuen Stadt in der Wüste, die CO2-frei werden soll – gelesen. Dort macht man sich das uralte Prinzip wieder zu Nutze.
Lieben Gruß aus Dresden, Gregor
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Lieber Gregor, diese kuriosen Windhäuser verbreiten erstaunlicherweise ein laues Lüftchen wie wir selbst feststellen konnten. Die Warmwasseraufbereitung auf den Dächern wird auch rege genutzt, wie ich sogar im griechischen Nicosia sah, das weit westlicher entwickelt ist. Nur Solarpanels gibt’s (noch) keine, wofür der finanzielle Anreiz auch dort kaum gegeben ist.
LG Martin
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