Rückblick Teil 3, Usbekistan. Isolation, Zensur und Personenkult ade. Nach fünf Tagen Transit durch Turkmenistan traf ich in Usbekistan wieder auf neugierige und freundlichere Menschen. Ich möchte Usbekistan aber nicht über den grünen Klee loben, auch hier ist’s mit den demokratischen Werten nicht weit her. Innenpolitisch wird das Land von Präsident Karimov geführt, wieder so ein Unabhängigkeitsdinosaurier. Nicht, dass einer glaubt, ich bevorzugte Diktaturen auf meiner Reise – diese Länder, und davon abgesehen spannenden Kulturen, liegen nunmal auf meinem Weg. Mit der Marschrutka und einer 60 km langen Überland-Trolleybuslinie fuhr ich in die schönste usbekische Stadt Khiva, ein komplett erhaltenes Kleinod auf der alten Seidenstraße. Ich verliebte mich gleich in diese Oasenstadt und blieb einige Tage länger, genoss die surreale Harmonie einer in sich geschlossenen Stadt und den spürbaren Zauber des alten Orients beim Genuss usbekischer Küche.





Nachdem ich im Iran und Turkmenistan von mitgebrachtem Bargeld gezehrt hatte, welches mir nun langsam auszugehen drohte, konnte ich in Usbekistan wieder ATMs nutzen. Fast, denn sie waren leer. Usbekische Sum gab es stattdessen in Banken, ganz legal, oder auf dem Schwarzmarkt zu einem fast doppelt so hohen Kurs! Das liegt daran, dass der Wechselkurs zu ausländischen Währungen staatlich festgesetzt ist, deren Wert inflationär bedingt viel höher ist. Usbeken legen ihr Vermögen in Dollar an, um der Inflation zu entgehen oder Investitionen zu tätigen, die nur in harter Währung geblecht werden. In einer Welt, in der Devisen noch eine Rolle spielen: je nach inoffiziellem Wechselkurs erhielt ich für einen Euro bis zu 5000 Sum (in der Bank gerade einmal 2600), Tendenz steigend. 50 Euro verwandelten sich dicke Bündel aus 1000-Sum-Blüten (20-Cent), welche in kein Portemonnaie passten. Die Renaissance des guten, alten Geldbeutels. Geldwechsler waren schon von weitem durch ihre braunen, eckig gefüllten Plastiktüten wertloser Geldbündel vor den Toren des Basars zu erkennen. Ein vertrauensvoller Tausch auf Verhandlungsbasis, da ein Nachzählen unmöglich ist. Ich muss mich anfangs lächerlich gemacht haben, als ich einen dieser Bündel an Ort und Stelle stichprobenhaft nachgeprüft und mich am Ende sogar noch zu meinen Gunsten verzählt hatte. Nur selten erhält man die größte Banknote, 5000-Sum (einen Euro), die erst vor zwei Jahren eingeführt wurde. An der nominalen Größe des Geldes lässt sich erahnen, dass das Leben hier erschwinglich ist – eine einstündige Busfahrt für umgerechnet 20 Cent, ein Brotlaib vom Basar vier Cent, eine warme Mahlzeit einen bis zwei Euro – Sommerferien für meine Reisekasse. In Taschkent entdeckte ich übrigens tatsächlich noch einen von zwei Geldautomaten der Hauptstadt (des Landes?), die 100-Dollar-Scheine herausgaben.






Mehr von diesen orientalischen Städten! Mit dem Nachtzug fuhr ich vom benachbarten Urganch nach Samarqand, einst persische Handelsstadt an der östlichen Seidenstraße. Diese Fahrt geht als lustigste in die Geschichte meiner Nachtzugfahrten ein. Als begeisterter Dritte-Klasse-Fahrer (platskartni) traf ich auf eine Runde junger, fröhlicher Usbeken. Wenige Augenblicke nach Abfahrt stürmten Lyubov und Nadejda auf mich ein. Die eineiigen Zwillinge russischer Eltern hatten meinen DVB farbenen Pass bei der Zugangskontrolle erspäht und waren, auf der Suche nach mir, durch den halben Zug gelaufen. Diese reizenden Schwestern sprachen im zarten Alter von zwanzig Jahren bereits fließend Deutsch und hatten Sprüche bald besser drauf als ich. Ich war begeistert, das Goethe-Institut in Taschkent hatte ganze Arbeit geleistet – schöne Grüße auf diesem Wege! Mögen sie ihre Aufenthaltsgenehmigung für ihr deutsches Au-pair im zweiten Anlauf bekommen, nachdem sie einmal zurückgewiesen wurden. Zusammen mit ihnen, weiteren Usbeken und einer Spanierin, die auch durch den Zug streunte, zauberten wir ein Dinner und spielten Karten, bis wir im offenen Liegewagen den Zorn der Alten auf uns geladen hatten. Wir überquerten den Amudarja, einer der Zuflüsse des zunehmend austrocknenden Aralsees. Die übermäßige Wassernutzung für den Baumwollanbau lässt den Fluss bereits vor der Mündung in den unaufhörlich austrocknenden Aralsee versickern. Bewässerungskanäle der Zuflüsse aus der Stalin-Ära ließen den Wasserspiegel um 30 m sinken. Ehemalige Hafenstädte liegen nun bis zu 100 km von der heutigen Uferlinie entfernt. Da Usbeken und Turkmenen bis heute nichts aus der jahrzehntelangen Tragödie gelernt haben, ließ Kasachstan auf der Grenze einen Damm bauen, um zumindest den nördlichen Teil des Sees zu retten, der vom Syrdarja gespeist wird. Aber die versalzene Pfütze ist so gut wie tot, die Wassersparinitiative in Khiva ist dagegen ein verschwindend geringer Beitrag.





In Samarqand lernte ich weitere Backpacker aus Kanada, Deutschland, Polen, Kasachstan und Skandinavien kennen, mit denen ich die Gegend erkundete. Allein der Name der Stadt weckt orientalische Vorstellungen vergangener Zeiten, als sich hier Händler aus dem mittleren Osten und Indien begegneten. Das Zentrum ist aber nicht mehr zusammenhängend erhalten, wenngleich mit den eindrucksvollsten Einzelwerken.




Als ich eines Abends allein durch das jüdische Viertel stapfte, hörte ich meinen Namen rufen. Es war der Belgier Jeroen, den ich im Iran getroffen hatte! Welch ein Zufall, hatte er schließlich eine ähnliche Reiseroute. Die Wege in Zentralasien sind heute wie vor tausenden von Jahren dieselben, namens Seidenstraße, auf der man sich begegnet. Diesmal tauschten wir die Kontakte einander aus, unsere Wege sollten sich ein drittes Mal kreuzen. Mit der Kanadierin Caroline fuhr ich in dritte Stadt, Buchara. In Damenbegleitung musste es schließlich passieren, dass ich zum ersten Mal, ja, einen Zug verpasste (auf dieser Reise :)). 15 Minuten vor Abfahrt verweigerte man uns den Ticketerwerb, zu knapp, während draußen der Zug einfuhr. In Usbekistan sind Fahrkartenschalter und Bahnsteigzugang hermetisch durch Sicherheitschecks voneinander getrennt. Usbeken haben Angst vor Terroranschlägen wie sie in der Vergangenheit in der Hauptstadt und im Ferghanatal geschahen.




Ich lebte wie ein Tourist, versank in der Schönheit orientalischer Bauten, Menschen und Speisen. Bis ich nach Taschkent kam. Die usbekische Hauptstadt ist enttäuschend sozialistisch mit breiten Straßen und Zweckbauten, protzigen Denkmälern und Parks angelegt. Das bestärkte mich, gleich weiterzufahren, um meinen Dresdner Verein Verkehrte Welt im benachbarten Almaty/Kasachstan zu treffen. Die zwölf Kommilitonen waren ebenfalls per Bahn von Dresden über Russland hierher gereist. Vier von ihnen wollten mich später durch Kirgistan und Usbekistan begleiten. Der erste Eindruck Kasachstans war korrupt. Das Ticket für den Nachtzug nach Almaty gab’s direkt vor dem Fahrkartenschalter nur schwarz vom Provodnik, dem Schlafwagenschaffner. Der wies mir das erste Bett im Liegewagen zu, welches offensichtlich für solche Deals freigehalten wird. Somit war ich der erste im Zug, bevor alle anderen, mit rechtmäßigem Fahrschein zustiegen. Dabei soll Kasachstan die geringste Korruption der zentralasiatischen Länder haben. Na, wer’s glaubt.

War ich bisher (fast) immer in eine, östliche Richtung gereist, ging es in den Stans nun rund. Von der ehemaligen kasachischen Hauptstadt Almaty fuhr ich in großer Runde nach Kirgistan. In beiden Städten besuchten wir die Verkehrsfakultäten der Universitäten. Kasachstan ist finanziell deutlich besser aufgestellt als sein Nachbarland. Die Labore in Almaty waren fast mit denen unserer vergleichbar. Sonst nehmen sich die beiden von Straßen gesäumten Innenstädte nicht viel. Obwohl, Almaty hat die bessere location, mit Bergen im Hintergrund. Kasachstan geht es sichtlich besser, ist es doch reichlich mit Bodenschätzen versehen. Dass Kirgistan einst drittärmste der fünfzehn Sowjetrepubliken war, sah man nicht nur der Uni an. Man bemühte sich: in Bishkek ermöglichte die Fakultät nach der Laborbesichtigung einen Ausflug in die Berge südlich der Stadt.






In der folgenden Woche trampten wir, wenn auch für etwas Geld, zu fünft vom Norden in den Südwesten Kirgistans, zum größten See des Landes, dem Issyk-Kul-See. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees sollte ich nur wenige Wochen später in einer Dorfschule lehren. Über den Tian-Shan-Gebirgszug ging es über 3000 m hohe Pässe in das Ferghanatal in die zweitgrößte Stadt Osch. Hier wohnen zu einem Großteil Usbeken, weswegen es immer wieder zu Unruhen kommt. Das letzte Mal vor fünf Jahren nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse. Anfang Oktober sollte erneut gewählt werden, diesmal blieb es aber ruhig. Im Ferghanatal, der bevölkerungsreichsten Gegend Zentralasiens, leben über zehn Millionen Kirgisen, Usbeken und Tadschiken, die sich ihrer Unabhängigkeit von Russland nicht mehr so grün sind. Entsprechend sensibel sind die Sicherheitskontrollen, vor allem auf usbekischer Seite. Aus diesem Grund gibt es viele Polizeikontrollen, bei denen wir jedes Mal auszusteigen mussten, um uns registrieren zu lassen, wodurch einen die Laune am Reisen ordentlich vergehen kann. Im usbekischen Andijon konnte ich über eine Rigaer Bekanntschaft ein Treffen mit dessen Freunden organisieren, bei denen wir in einer leer stehenden Wohnung am Stadtrand unterkamen. Die Nachbarschaft beäugte uns seltenen Fremden neugierig, als hätten sie noch nie Ausländer gesehen. Touristen ist es normalerweise untersagt, mit couch surfing zu übernachten, da für jede Nacht eine Registrierung in einem Gasthaus erfolgen muss. Egal, das letzte Mal hat mich bei der Ausreise auch Keiner nach diesem zwanghaften Zettelkram gefragt.














Nach einer siebenstündigen Taxifahrt kamen wir in Taschkent (eine neue Bahnstrecke Taschkent – Andijon wird gerade neu gebaut) an, wo mich die Dresdner Jungs bald wieder gen Heimat verließen. Von hier organisierte ich bekanntermaßen meine zukünftige Aufgabe in einer kirgisischen Dorfschule. Noch war unklar, wie ich an das chinesische Visum für meine Weiterreise komme. Bisher hatte ich alle Visa in den Berliner Botschaften vor meinem Reisebeginn organisieren können, was aber für das chinesische Visum zu langfristig war. Mein erster Anlauf in der chinesischen Botschaft Taschkents war erfolglos, da Ende September nicht ausreichend Bearbeitungszeit blieb, bevor mein usbekisches Visum auslief. Anfang Oktober verfielen alle chinesische Botschaften in eine Herbststarre aufgrund aufeinanderfolgender Feiertage. So auch im chinesischen Konsulat von Almaty. Schließlich beantragte ich das Visum in Bischkek, hielt ich mich ja lang genug in Kirgistan auf.



Dorthin brach ich Anfang Oktober auf und traf, diesmal verabredet, Jeroen aus Samarqand wieder. Die Hauptstädte sind nur wenige hundert Kilometer voneinander entfernt. Mit ihm verlebte ich den letzten Tag meines alten Jahres in der kirgisischen Banja, während mich das neue gleich mit einem erinnernden Morgenkater an die gestrige Nacht in einer Karaokebar begrüßte.





Anfang Oktober fuhr ich erwartungsvoll in das Dorf Kaji-Say am südlichen Ufer des Issyk-Kul-See, wo mich schon meine liebe Gastfamilie erwartete. In der hiesigen Schule half ich einen Monat lang als ehrenamtlicher Lehrer aus.
Es gibt eine ganze Menge Länder (Argentinien und Venezuela beispielsweise), die ihre Wechselkurse fixieren. Auf dem Schwarzmarkt können Sie also jedes Mal sehr viel mehr Geld erhalten!
Natürlich birgt das auch einige Gefahren (gefälschte Währungen, Aggressionen…), kann die Sache aber durchaus wert sein 🙂
Ich habe noch nie wirklich verstanden, warum eine Regierung es für eine gute Idee hält, seinen Wechselkurs zu fixieren.
Thomas von http://money-changer.net/de
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